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An diesem Punkt betrachten wir die Lehrkraft in Bezug auf KI als versiert genug, um KI sicher und in einer Weise einzusetzen, die einen Mehrwert für den Bildungsprozess darstellt. Die Lehrkraft möchte vielleicht auch Insiderwissen mit ihren Schülerinnen und Schüler teilen oder ihnen erklären, wie ein Tool funktioniert, das die Lernenden benutzen. Aber das macht die Lehrkraft – noch – nicht zum Lehrenden über KI.
Diese Frage wird dennoch früher oder später von Interesse sein. Ist es sinnvoll, jeden zu oder über KI zu unterrichten? Und wenn dies der Fall ist, was sollte dann gelehrt werden? Wer sollte den Unterricht durchführen? Wie viel muss der Lehrende noch lernen?
Was wir aus dem Informatikunterricht gelernt haben
Vor zehn Jahren kamen die meisten europäischen Länder zu dem Schluss, dass es nicht ausreicht, „zu lehren, wie man einen Computer benutzt”, und dass es notwendig sei, allen Kindern das Programmieren (oder manchmal, mit mehr Ehrgeiz, Datenverarbeitung und Informatik) beizubringen1,2. Die damals angeführten Argumente gelten wahrscheinlich auch heute noch für die künstliche Intelligenz:
- Programmieren ist genauso nützlich und notwendig wie Schreiben und Rechnen,
- alle menschlichen Aktivitäten brauchen Programmierung,
- Programmieren ist auch mit anderen notwendigen Fähigkeiten wie dem Lösen von Problemen verbunden.
Also wurde die Programmieren eingeführt, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg3. Vor allem für den menschlichen Aspekt, die Ausbildung des Lehrpersonals, wurden nicht genügend Mittel bereitgestellt. Es stimmt, dass es hier ein kompliziertes Problem gab: eine zu gute Ausbildung der Lehrkräfte könnte dazu führen, dass sie den Lehrerberuf aufgeben würden, um in der Computerindustrie zu arbeiten, wo die Gehälter viel höher sind! Berichte von Informatics Europe und anderen Organisationen belegen dies (aber es gibt natürlich auch einige Ausnahmen).
Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern war in allen Ländern eine komplexe Aufgabe, und die Ergebnisse sind auch 2023 noch uneinheitlich. In den meisten Ländern hat man das Gefühl, dass es nicht genügend gut ausgebildete Lehrende gibt. Dies macht es besonders schwierig, Lehrkräfte für KI auszubilden, und zwar auf einem Niveau, das sie in die Lage versetzt, KI zu unterrichten (und nicht mit KI zu unterrichten).
KI-Kompetenz
Das erste Ziel könnte die Einführung einer gewissen Form von KI-Kenntnissen in den Schulen sein. Es besteht jedoch – noch – keine Einigkeit darüber, was diese Kenntnisse umfassen sollten. Wollen wir erklären, wie KI funktioniert, oder nur, was die Ergebnisse des Einsatzes von KI sein können? Sollen die Kenntnisse nur das Verständnis abdecken oder auch die Fähigkeit umfassen, die KI anzupassen und etwas zu schaffen? Diese Fragen müssen geklärt werden. Um zu wissen, was in einem Kurs über KI-Kenntnisse gelehrt werden sollte, sollte die erste Frage lauten: Was wollen wir erreichen?
Wenn KI-Kenntnisse es den Menschen ermöglichen, zwischen Magie und Wissenschaft zu unterscheiden, eine neue KI-Lösung in Betracht zu ziehen und eine gewisse Intuition dafür zu entwickeln, wie sie funktioniert (und nicht nur dafür, was sie tut), dann muss auch eine praktische Ausbildung stattfinden: Schülerinnen und Schüler sowie Studierende müssen in der Lage sein, Systeme zu testen und eine Vorstellung davon haben, wie diese funktionieren.
Paradigmen
Bei KI geht es nicht nur um ein paar Algorithmen. Es gibt viele menschliche Aspekte aber auch Fragen, die berücksichtigt werden müssen. Die meisten KI-Methoden stützen sich zum Beispiel bis zu einem gewissen Grad auf den Zufall. Das mag seltsam erscheinen in Bezug auf Techniken, die uns helfen sollen, drastische Entscheidungen zu treffen (oder, in einer wachsenden Zahl von Fällen, wie im Fall der Börse, die diese Entscheidungen direkt erzwingen).
Aber wenn KI in der Zukunft eine Schlüsselrolle spielen wird, sollten wir dann nicht zumindest damit beginnen?
In einem Bericht für die Unesco aus dem Jahr 20184 wurde vorgeschlagen, dass die folgenden fünf Themen, die heute im Bildungssystem weitgehend fehlen, angegangen werden müssen:
- Programmieren ist eines dieser Themen. Auch wenn für das Nutzen der Tools anscheinend kein direktes Programmieren erforderlich ist, folgt die Logik hinter den KI-Tools Regeln, die durch Programmieren erlernt werden können.
- Zufall spielt eine Rolle. Es mag überraschen, aber KI macht Fehler. Und diese Fehler sind in vielerlei Hinsicht unvermeidlich: Sie können auf die Qualität der Daten oder der Sensoren zurückzuführen sein und sie sind außerdem auf die statistische Natur der verwendeten Algorithmen zurückzuführen: Die meisten KI-Algorithmen haben nicht das Ziel, absolut korrekt zu sein.
- Die Welt ist nicht mehr deterministisch. Dies ist eine Folge des oben genannten Punktes, aber diese Folgen sind spezifisch, da wir verstehen, dass ein KI-System uns auf einfache Fragen unterschiedliche und manchmal sogar widersprüchliche Antworten geben kann. Die Lektüre von Alan Turings Aufsatz aus dem Jahr 19506 gibt einen guten Einblick in diese Fragen.
- Kritisches Denken ist unerlässlich, aber man muss auch wissen, wie man die Tools richtig einsetzt. KI-Tools werden immer besser darin, Fälschungen zu erstellen: Bilder, Videos und jetzt auch Texte; morgen wahrscheinlich auch gefälschte Vorlesungen. Der gesunde Menschenverstand allein reicht nicht mehr aus, um zu entscheiden, ob ein Bild, eine Stimme oder ein Text eine Fälschung ist.
- Die Werte, die wir hochhalten, die Werte, die uns helfen, die Welt zu analysieren, moralische Entscheidungen zu treffen, die Werte, die uns helfen, Entscheidungen darüber zu treffen, warum wir unsere Zeit mit Lernen oder Arbeiten verbringen, sie alle müssen im Lichte des Fortschritts der künstlichen Intelligenz hinterfragt werden. Die Wahrheit verfügt über eine Grauzone, die jeden Tag größer wird; Erfahrung wird vielleicht nicht mehr von Wert sein, wenn KI in der Lage ist, auf kollektive Erfahrung zurückzugreifen und die Zahlen zu berechnen.
Diese Fragen zu verstehen oder zumindest zu recherchieren, ist eine Notwendigkeit.
Lehrpläne und Rahmenwerke
Es gibt nur wenige KI-Lehrpläne für die Grundschule und die weiterführende Schule oder deren Lehrpersonal, die bis Ende 2023 vorlagen4,5. Die Unesco hat damit begonnen, diese zu erfassen und zu präsentieren8.
Die Organisation ist weltweit ein wichtiger Akteur im Bereich der Bildung. Da sich die Unesco mit der Zukunft der Bildung9 befasst, hat sie ein besonderes Interesse an KI für und in der Bildung. Sie stellt einige aufschlussreiche Dokumente zur Verfügung, die sowohl politischen Entscheidungsträgern als auch Lehrer:innen in Bezug auf KI, Bildung und Ethik oder den Einsatz von generativer KI in der Bildung helfen sollen. Im Jahr 2023 haben Expertinnen und der Unesco an Dokumenten gearbeitet, die beschreiben, wie die Kompetenzen von Lehrenden und Lernenden aussehen sollten11. Die endgültige Version soll 2024 erscheinen, aber die Version 2023 schlägt Aspekte vor, die ein Gleichgewicht zwischen technologischen Fragen und solchen, die eher mit den Sozialwissenschaften oder, im Falle von Lehrkräften, mit der beruflichen Entwicklung zu tun haben. Und auch wenn das Programmieren nicht unmittelbar notwendig ist, scheint es eine Fähigkeit zu sein, die für ein besseres Verständnis der KI erforderlich ist.
Prorammieren von KI
Das Programmieren ist eine Aktivität, die in den meisten europäischen Ländern seit 2012 gefördert wird. Auch im Jahr 2023 förderte die Europäische Union den Informatikunterricht in Europa.
Doch seit dem Aufkommen der generativen KI und ihren erwarteten Auswirkungen auf die Bildung10 wird der Nutzen des Lernens vom Programmieren in Frage gestellt. Können wir die KI diese Aufgabe nicht einfach für uns erledigen lassen? Oder, ganz im Gegenteil sollten wir nicht Programmieren lernen, da viele Arbeitsplätze in Zukunft von KI abhängen werden, um die KI besser nutzen zu können?
Der Hauptgrund für das Erlernen des Programmierens ist, dass ein Lehrer oder ein Schüler in der Lage sein könnte, KI in Computerprogrammen zu verwenden. Es gibt eine Reihe von Aufgaben, die mit dem „Programmieren von KI” verbunden sind. Das Erstellen von Modellen ist normalerweise Teil der Datenwissenschaft und des maschinellen Lernens: Ein guter Programmierer kann einen Datensatz nehmen, ihn bereinigen, ohne ihn zu verzerren, und ihn verwenden, um mit Hilfe von Algorithmen für maschinelles Lernen Regeln und Muster zu extrahieren. Der Programmierer kann die sinnvollen Merkmale angeben oder den Algorithmus Rohtext oder Bilder klassifizieren lassen. Einige Sprachen können dies sehr gut, wie z. B. Orange. In anderen Fällen verwendet ein Programmierer eine Allzwecksprache wie Python.
1 Royal Society (2012). Shut down or restart? Report of the Royal Society. 2012 https://royalsociety.org/topics-policy/projects/computing-in-schools/report/T.
2 Académie des Sciences (2013). L’Académie des Sciences : L’enseignement de l’informatique en France – Il est urgent de ne plus attendre. http://www.academie-sciences.fr/fr/activite/rapport/rads_0513.pdf
3 Informatics Europe (2017). Informatics Education in Europe: Are We All in the Same Boat?
4 Colin de la Higuera (2018). Report on Education, Training Teachers and Learning Artificial Intelligence. https://www.k4all.org/project/report-education-ai/
5 Touretzky, D., Gardner-McCune, C., Martin, F., & Seehorn, D. (2019). Envisioning AI for K-12 : What Should Every Child Know about AI ? Proceedings of the AAAI Conference on Artificial Intelligence, 33, 9795-9799. https://doi.org/10.1609/aaai.v33i01.33019795
6 A. M. Turing (1950)—Computing Machinery and Intelligence, Mind, Volume LIX, Issue 236, October 1950, Pages 433–460, https://doi.org/10.1093/mind/LIX.236.433
7 Howell, E. L., & Brossard, D. (2021). (Mis) informed about what? What it means to be a science-literate citizen in a digital world. Proceedings of the National Academy of Sciences, 118(15), e1912436117. https://www.pnas.org/doi/abs/10.1073/pnas.1912436117
8 Unesco (2022) K-12 AI curricula: a mapping of government-endorsed AI curricula. https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000380602
9 Unesco (2023). Artificial intelligence and the Futures of Learning. https://www.unesco.org/en/digital-education/ai-future-learning
10 Unesco (2023). Guidance for generative AI in education and research. https://www.unesco.org/en/articles/guidance-generative-ai-education-and-research
11 Unesco (2023). AI Competency frameworks for students and teachers. https://www.unesco.org/en/digital-education/ai-future-learning/competency-frameworks